
08.10.2025; Lesezeit: 4 Minuten
So gelassen und erhaben, wie sie Giambattista Tiepolo an die Decke der Würzburger Residenz malte, zeigt sich Europa heute selten.
Auf dem Deckenfresko des italienischen Meisters – dem größten zusammenhängenden Monumentalgemälde der Welt – ruht die Personifikation Europas halb thronend, halb liegend auf Wolken, umgeben von Sinnbildern für Macht, Wissenschaft und Kunst.
Ein Bild von beeindruckender Leichtigkeit und zugleich von großer Aussagekraft: Europa als Verbindung, nicht als Abgrenzung. Genau dieses Motiv prägt auch die diesjährige Tages-Exkursion des Vereins zur Förderung internationaler Beziehungen Neu-Anspach e.V. – passender hätte der Auftakt kaum sein können.
Wie in den vergangenen Jahren steht die Fahrt unter einem gemeinsamen Leitgedanken: „Schauplätze Europas – gestern, heute und morgen.“
Am Tag der Deutschen Einheit machen sich rund vierzig Europa- und Städtepartnerschaftsenthusiasten aus Neu-Anspach und Umgebung auf den Weg in die Europastadt Würzburg.
Schon im Bus sorgt Paul-Werner Geis für eine lebendige Einstimmung – mit Geschichten, Anekdoten und einem humorvollen Blick auf die wechselvolle Geschichte der alten Residenzstadt.
Und weil Kultur am besten auf eine gute Grundlage trifft, darf auch die traditionelle Stärkung nicht fehlen: Worscht und Weck, stilecht und unterwegs, bilden den passenden Auftakt zu einem Tag, an dem Europa auf ganz unterschiedliche Weise erlebbar wird.
In der Würzburger Residenz, einem der bedeutendsten Barockbauten Europas, wird Geschichte lebendig. Zwei engagierte Kunstvermittlerinnen der Stadt Würzburg führen die Gruppe durch Prunkräume, Treppenhaus und Kaisersaal – Orte, an denen sich Macht, Kunst und europäischer Geist eindrucksvoll begegnen.
Der Blick hinauf zum Deckenbild von Giambattista Tiepolo läßt niemanden unbeeindruckt: Auf über 600 Quadratmetern entfaltet sich eine Weltallegorie, in der Europa, Asien, Afrika und Amerika als Figuren auf Wolken erscheinen – Sinnbilder einer Zeit, in der sich die Welt öffnete und Europa seinen Platz darin suchte.
Die Mischung aus architektonischer Strenge und malerischer Leichtigkeit, aus Balthasar Neumanns Raumkunst und Tiepolos Farbenpracht, vermittelt ein Gefühl dafür, warum die Residenz als UNESCO-Welterbe gilt – und warum sie bis heute als Inbegriff barocker Vollendung bewundert wird.
Ein Stück weiter, im Rathaus mit seinem eindrucksvollen Wappensaal, entdecken die Teilnehmenden die Flaggen der Würzburger Partnerstädte. Von Caen als ältester Partnerschaft über Lwiw bis hin zu den jüngsten Verbindungen nach Italien – jede Fahne steht für eine Freundschaft über Grenzen hinweg.
Seit über 60 Jahren pflegt Würzburg lebendige Verbindungen in alle Himmelsrichtungen. Jede Partnerschaft steht für Begegnung, Austausch und das, was Europa im besten Sinne ausmacht: Freundschaft über Grenzen hinweg.
🇫🇷 Caen (Frankreich, seit 1962)
Die älteste Partnerstadt – Symbol der deutsch-französischen Versöhnung. Studierende, Chöre und Vereine halten bis heute enge Kontakte in die normannische Universitätsstadt.
🏴 Dundee (Schottland, Vereinigtes Königreich, seit 1962)
Verbindet Wissenschaft, Bildung und Kultur – zwei lebendige Universitätsstädte, geeint durch Offenheit und Kreativität.
🇺🇸 Rochester (USA, seit 1964)
Partnerschaft über den Atlantik: entstanden im Geist der Nachkriegsfreundschaft, getragen von persönlichen Begegnungen und Schulpartnerschaften.
🇹🇿 Mwanza (Tansania, seit 1966)
Würzburgs Brücke nach Afrika – mit zahlreichen Projekten in Bildung, Medizin und Entwicklungshilfe. Eine der ältesten deutsch-afrikanischen Städtepartnerschaften überhaupt.
🇯🇵 Ōtsu (Japan, seit 1979)
Die „Perle am Biwa-See“ – Austausch zwischen Schulen, Orchestern und Kulturgruppen prägt diese fernöstlich-fränkische Verbindung.
Ein sichtbares Zeichen dieser Freundschaft ist der Japanische Garten im Landesgartenschau-Gelände, gestaltet nach dem Vorbild der Gärten in Ōtsu. Auch im Japanischen Teehaus im Hofgarten wird sie erlebbar: fernöstliche Ruhe mitten im fränkischen Barock.
🇪🇸 Salamanca (Spanien, seit 1980)
Zwei traditionsreiche Universitätsstädte mit Herz für Kultur, Geschichte und Lebensfreude. Europa zum Studieren, Erleben und Genießen.
🇩🇪 Suhl (Thüringen, Deutschland, seit 1988)
Noch vor der Wiedervereinigung geschlossen – ein Symbol innerdeutscher Verständigung und bleibender Freundschaft.
🇸🇪 Umeå (Schweden, seit 1992)
Jung, kreativ, umweltbewusst – Würzburgs Partner im hohen Norden. Beide Städte setzen auf Kultur, Bildung und Nachhaltigkeit.
🇮🇪 Bray (Irland, seit 1999)
Irische Gastfreundschaft trifft fränkisches Temperament: gelebtes Europa mit Musik, Austausch und guter Laune.
🇺🇦 Lwiw / Lemberg (Ukraine, seit 2023)
Zeichen der Solidarität mit der Ukraine – Ausdruck einer aktiven europäischen Verantwortung und neuer Freundschaften.
🇮🇹 Siracusa (Sizilien, Italien, seit 2025)
Die jüngste Partnerschaft im Süden Europas: mediterranes Lebensgefühl, antike Kultur und sonnige Inspiration für das europäische Netzwerk Würzburgs.
Im benachbarten Ratssaal fesselt das monumentale Wandgemälde von Wolfgang Lenz (1984–1987) die Besucher: 37 ineinanderfließende Szenen erzählen 1300 Jahre Würzburger Stadtgeschichte. Lenz’ Lehmspachteltechnik verleiht den Figuren Bewegung, während der Moment der Kriegszerstörung – verhüllt hinter einem schwarzen Tuch – berührende Stille schafft.
Das monumentale Werk von Wolfgang Lenz entstand zwischen 1984 und 1987 und gilt als eines der eindrucksvollsten Beispiele moderner Geschichtsmalerei in Süddeutschland. Auf rund 280 Quadratmetern entfaltet sich ein Panorama aus 37 ineinanderfließenden Szenen, die 1300 Jahre Würzburger Stadtgeschichte lebendig werden lassen.
In seiner charakteristischen Lehmspachteltechnik verbindet Lenz präzise historische Details mit malerischer Bewegung. Szenen wie die Mission des heiligen Kilian, der Bau der Alten Mainbrücke, die Gründung der Universität im Jahr 1402 oder die Blütezeit des Barock mit Balthasar Neumann und Tiepolo zeigen den Wandel der Stadt über die Jahrhunderte. Dazwischen finden sich stille Verweise auf die Judenverfolgungen und Hexenprozesse – Ereignisse, die Lenz bewusst nicht ausspart.
Der Moment der Kriegszerstörung 1945 wird nicht dargestellt, sondern bleibt hinter einem schwarzen Tuch verborgen – eine künstlerische Geste, die für Würzburgs Verlust, aber auch für den Neuanfang steht. Der Wiederaufbau erscheint in hellen Tönen, Sinnbild für Zuversicht und Zusammenhalt.
Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Lenz im Jahr 2025 wurde das Werk erneut gewürdigt – als Vermächtnis eines Künstlers, der Geschichte nicht nur darstellte, sondern fühlbar machte. Sein Wandbild ist bis heute das visuelle Gedächtnis des modernen Würzburgs.
Beim Spaziergang über die Alte Mainbrücke begegnet die Gruppe Europa ein weiteres Mal – diesmal steinern, in Gestalt barocker Heiliger und Schutzpatrone, die seit Jahrhunderten über den Main und die Stadt wachen. Zwischen den Figuren des heiligen Kilian, des heiligen Nepomuk oder der heiligen Afra spiegeln sich die kulturellen Wurzeln und Verbindungen, die Würzburg weit über Franken hinaus geprägt haben.
Während bei herrlichem Oktoberwetter viele Besucher und Einheimische den Blick über den Fluss genießen, in der Hand ein Glas Frankenwein, entsteht dieses ganz eigene Würzburger Lebensgefühl – ein entspannter Dialog zwischen Gestern und Heute, zwischen barocker Kulisse und lebendigem Europa im Hier und Jetzt.


Nach so viel Kunst und Geschichte folgt der gemütliche Teil: ein gemeinsames Essen in Veitshöchheim am Mainufer mit fränkischen Spezialitäten. Zum Abschluss führt der Weg zum Mittelpunkt Europas – ein unscheinbarer Platz mit großer Symbolik.
Hier, wo sich die geografische Mitte des Kontinents befindet, wird Europas Vielfalt bei einem prickelnden Glas Sekt noch einmal ganz unmittelbar spürbar.

Ein herzliches Dankeschön gilt Silke Jeltsch-Strempel und ihrem Mann Jürgen Strempel, die die Exkursion organisiert und begleitet haben, sowie dem stets gutgelaunten Fahrer von Gutacker-Reisen, der souverän für eine entspannte Reise sorgt.
Auch die Reisegruppe selbst ist ein Stück gelebte Internationalität: Menschen aus Neu-Anspach und Umgebung, verbunden durch Neugier und Offenheit – mit Wurzeln in Frankreich, Slowenien, Spanien, Pakistan, Brasilien und aus vielen Regionen Deutschlands.
Diese internationale Mischung sorgt schon im Bus für angeregte Gespräche, viel Lachen und eine wunderbare Reiselust. Und obwohl der Tag früh begonnen hat, ist die Stimmung von Anfang an hellwach – Europa im Gespräch, Europa unterwegs.
So zeigt sich Europa an diesem Tag: vielfältig, zugewandt, fröhlich – und mit einem Hauch barocker Leichtigkeit, ganz wie bei Tiepolo.
Und wer jetzt Lust bekommen hat, selbst ein Stück Europa zu entdecken: Ein Blick in unsere Fotogalerie lohnt sich. Dort wird sichtbar, was Worte nur andeuten können – und was für uns als Vereinsvorstand Ansporn und Motivation ist, solche Veranstaltungen zu organisieren und durchzuführen. Damit wollen wir unsere Mitglieder und die, die es werden wollen, zum Dabeisein und Mitmachen anstiften.